“Jägerinnen der Lust” – 7 erotische Kurzgeschichten
Manchmal beneide ich Männer. Ihre Lust lässt sich binnen Sekunden von 0 auf 100 hochfahren. Die Aussicht in ein tiefes Dekolleté, ein bestimmter Taille-Hüft-Quotient oder die ersten Szenen im Porno reichen. Schon steht das Zeltdach. Nur wenige Männer kämen deshalb auf die Idee, erotische Kurzgeschichten zu lesen. Männliche Lust ist visuell.
Geht es um das Anfachen der weiblichen Lust, braucht es speziellere Kniffe als die reinen optischen Reize. Entspannung spielt für uns eine viel größere Rolle. Die richtige Stimmung, das Knistern zwischen zwei Menschen… Unsere Lustkurve braucht mehr Zeit, um anzusteigen, als bei Männern. Nicht umsonst ist die entspannende Badewanne einer der beliebtesten Orte für Frauen, um zu Masturbieren.
Und was nimmt Frau, neben ihrem Lieblingstoy, mit in die Badewanne? Richtig, was zum Lesen. Am besten nicht einfach nur irgendeinen random Roman, schließlich gibt es für die Entspannung der besonderen Art Fachliteratur. Erotische Kurzgeschichten haben zum Ziel, dich möglichst unkompliziert einzusammeln, indem sie nicht lang drumrumreden. Sie wollen dich auf einen unerwarteten und fantasievollen Kurztrip schicken. Und dich anschließend zuverlässig zur final destination bringen: zum Orgasmus.
Erotische Fantasien für moderne Zeiten (7 Kurzgeschichten)
Ein besonderes Versprechen gibt Anouk S. den Leser*innen auf dem Cover ihres Buches Jägerinnen der Lust mit auf dem Weg. Hinter dem Pseudonym Anouk S. verbirgt sich eine bekannte Autorin und Kolumnistin. Unter neuem Namen will sie frischen Wind durch dein erotisches Buchregal schicken. Ihre brandneuen Kurzgeschichten wollen nämlich nichts gemein haben mit dem süßlichen Hauch der sogenannten Frauenromane. Ihr Buch verspricht folglich nicht weniger als “Erotische Fantasien für moderne Zeiten”.
Anouk S. selbst lebt in einer offenen Beziehung, welche ihr ermöglicht, eine besonders freie und selbstbestimmte Sexualität zu leben. Ob ihr das wohl genug reales Erfahrungsfutter für ihr spezielles Genre liefert? Fantasien sind immerhin ein Mittel, um wieder Lust in eine eingefahrene Beziehung zu bringen. Da wäre es doch toll, von einer erfahrenen Frau lernen zu können. Ich habe deshalb das Buch mit in meine Badewanne genommen und getestet, ob es mich zuverlässig ans Ziel bringt.
Jägerinnen der Lust von Anouk S.
Titel | Jägerinnen der Lust |
Untertitel | Erotische Fantasien für moderne Zeiten |
Genre | Erotische Kurzgeschichten |
Autorin | Anouk S. |
Altersfreigabe | ab 18 Jahren |
Format | Broschiert, Ebook |
Umfang | 64 Seiten, 7 Kurzgeschichten |
Erschienen | März 2019 |
Verlag | SWAY Books |
Schon der einseitige Prolog steigt ohne Umschweife in eine erotische Fantasie ein. Eine Frau erwacht inmitten nackter, schlafender Menschen. Was sie in diese Lage gebracht hat, bleibt offen. Auch, welche Ekszesse dieser ruhigen Szene vorausgingen, erfahren wir nur in vagen Andeutungen. Während sie noch schläfrig ihre Erinnerungen sortiert und dabei bereits neue Lust verspürt, taucht hinter ihr ein weiterer Körper auf. Es ist egal, wer dieser Mann ist. Und völlig irrelevant, ob die beiden sich kennen. In diesem Moment ist nur von Belang, dass er ihr das gibt, was sie jetzt braucht.
Die Protagonistinnen
Erotische Kurzgeschichten und Liebesromane wiederholten bislang meistens eine klassische Rollenverteilung. Die Frauen darin: passiv, abwartend, hoffend und sehnend. Am Ende werden sie schließlich zuverlässig erlöst durch die Zuwendung eines Mannes.
Anouk S. hebt diese überalteten Geschlechterrollen aus den Angeln. Ihre Protagonistinnen sind alles andere als hilflose Mädchen mit feuchten Fantasien. Ganz im Gegenteil schreibt sie über Frauen, die eine Gelegenheit ergreifen, sobald sie sich ihnen bietet.
Die “Jägerinnen der Lust” sind weder Opfer, noch Täterinnen. Weder benutzen sie Sex als letztes Machtwerkzeug einer in Schieflage geratenen Beziehung, noch lassen sie sich umständlich vom Märchenprinzen erobern.
Die Situationen
Es sind Frauen, die im Hier und Jetzt leben. Kein Gedankenkaroussel und keine alten Moralvorstellungen lasten auf ihren Schultern. Sie bewegen sich leichtfüßig durch Alltagssituationen, die ich als normale Frau nachempfinden kann.
Ein Spaziergang durch die Heide, ein Sommertag bei der Kirschernte, ein Junggesellinnenabschied – Anouk S. lässt den*die Leser*in teilhaben an Geschehnissen, wie sie auch uns selbst passieren könnten.
Doch erotische Kurzgeschichten kommen nicht ohne eine zweite Hauptrolle aus. Bei Anouk S. sind diese (fast) immer männlich. Und sie machen von ihrer Männlichkeit Gebrauch.
Die Männer
Ich weiß nicht, wie es dir geht. Aber mich macht nichts mehr an, als ein Mann, der selbstbewusst in sich ruht. Ein Mann, der sich seine Männlichkeit nicht durch große Gesten oder viele Worte beweisen muss, sondern weiß, was er kann und was er mag.
Diese Männer suchen nicht nach Bestätigung und nach dem nächsten Abenteuer. Sie sind einfach da, wenn sich eine Gelegenheit bietet. Genau wie Anouk’s Frauen.
Eine davon ist Lytte, die im Sommer aus der heißen Stadt flüchtet und eine Freundin besucht. Deren Schwiegereltern besitzen im Alten Land nahe Hamburg eine Kirschplantage, auf der sich Lytte frei bewegen kann. Während sie alleine im Liegestuhl zwischen den Kirschbäumen chillt, taucht in einer der Baumkronen ein Erntehelfer auf. Die beiden sind allein, die Sommerkleidung ist knapp, es braucht nicht viele Worte zur Verständigung. Als Lytte’s Freundin später zu ihr stößt und das vorangegangene tête-à-tête bemerkt, braucht keine von beiden eine Erklärung. Alles ist gut, so wie es ist.
Erotische Kurzgeschichten mit Konsens
Im klassischen Porno nimmt sich der Mann, was er will. Nicht so die Männer, auf die die “Jägerinnen der Lust” treffen. Sie bieten sich an, abwartend, neugierig – und überlassen der Frau die Entscheidung, ob sie darauf einsteigen will. Glücklicherweise sind sie auf alle Eventualitäten vorbereitet und haben immer ein Kondom griffbereit, wenn es gebraucht wird.
Man sollte meinen, dass Verhütung und der Schutz vor sexuell übertragbaren Krankheiten nichts in erotischen Geschichten zu suchen haben. Aber warum etwas auslassen, das für uns alle so alltäglich und vor allem wichtig ist? Anouk S. gelingt es, das Thema so selbstverständlich und beiläufig in ihre Geschichten einzubauen, dass es den Lesefluss keinesfalls stört:
Er griff zu seiner Hose und holte ein Kondom hervor. Lytte fragte sich kurz, ob es wohl oft Damenbesuch in den Feldern gab, schob den Gedanken aber schnell zur Seite, zog ihm das Gummi über und bestieg ihn so lasziv wie eine träge Katze.
aus: “Der Kirschgarten” von Anouk S.
Die Sprache der Erotik
Wo wir schon beim Thema sind. Sprache ist ja durchaus etwas, das bei erotischer Literatur von wesentlichem Belang ist. Nur ein irritierender Begriff oder eine gar zu derb beschriebene Handlung, schon bekommt die langsam aufgebaute weibliche Lustkurve einen empfindlichen Knick.
Wenn Anouk S. in ihren Geschichten ab und zu eine “nasse Spalte” oder “feuchte Möse” erwähnt, benutzt sie zwar Worte, die in meinem eigenen sexuellen Wortschatz nicht vorkommen. Beim Lesen jedoch gelingt es mir, sie einfach amüsiert zur Kenntnis zu nehmen, ohne mich davon aus dem Lesefluss bringen zu lassen.
Viel öfter nennt die Autorin die involvierten Geschlechtsorgane nämlich einfach beim Namen: Penis, Vulva, Klitoris. Das empfinde ich persönlich als angenehm unverstellt und ungekünstelt.
Die Vielfalt der erotischen Erlebnisse
7 erotische Kurzgeschichten. Das klingt erstmal nach nicht viel, jedoch beinhalten die Stories Erlebnisse von bunter Vielfalt. Sinnliche Berührungen in der Sauna, fremde Männer in der Natur, zufällige Begegnungen mit Paaren oder erste bisexuelle Erfahrungen – Anouk S.’ Geschichten heben sich deutlich voneinander ab, ohne unglaubwürdig oder erzwungen zu wirken.
Die letzte und längste Geschichte spinnt sich über 20 Seiten und mehrere Höhepunkte, während andere es bei einem kurzen Zusammentreffen belassen.
Mein einziger Kritikpunkt
Und obwohl die Kürze einer Geschichte der Tiefe und Wucht der erotischen Schilderung keinen Abbruch tun muss (man erinnere sich an den einseitigen Prolog), lässt sie mich an wenigen Stellen doch unbefriedigt zurück.
So ist es gleich die erste Geschichte von der “Waldfee”, zu der ich mir einen runderen Abschluss gewünscht hätte. Darin zieht eine unbefriedigte Frau ohne ihren Freund los und wird kurz darauf zufällig in das Liebesspiel eines fremden Paares verwickelt. Der in der Einleitung noch bildhaft geschilderte potenzgeschwächte Freund wird anschließend mit keinem Wort mehr erwähnt.
Nicht, dass ich eine Analyse der Beziehungsdynamik und ein Happy End für das gebeutelte Paar erwartet hätte. Aber statt den armen Jonas so sang- und klanglos aus dem weiteren Verlauf verschwinden zu lassen, hätte ich mir zum Beispiel auch gut eine Cuckold-Geschichte vorstellen können. Hier verspielt die Autorin eine Chance, elegant auf eine mögliche Lösung weitverbreiteter Bettprobleme hinzuweisen.
Erotische Kurzgeschichten – Eine Anregung fürs echte Leben?
Ich begnüge mich nicht mehr damit, erotische Fantasien nur im Kopf durchzuspielen. Stattdessen möchte ich sie erforschen, verstehen und wenn möglich auch ausleben. Erotische Kurzgeschichten können unsere vorhandenen Träume befeuern oder völlig neue Fantasien entstehen lassen.
“Jägerinnen der Lust” gelingt das durch authentische, nahbare Protagonistinnen und nachvollziehbare Kulissen. Die Geschichten könnten sich tatsächlich so zugetragen haben. Statt dem reichen Traumprinzen mit Millionen auf dem Konto und Folterzimmer im Wandschrank wird hier ganz einfach mal ein Erntehelfer vernascht. Und dieser Mann weiß genau, mit welchen Handgriffen man einer Frau Lust verschafft. In diesem Sinne bieten die Geschichten tatsächlich Anregungen fürs echte Liebesspiel.
“Jägerinnen der Lust” – Mein Fazit
Vielleicht ist die Unkompliziertheit, mit der Anouk S. in ihren Geschichten Frauen und Männer aufeinandertreffen lässt, das Unrealistischste daran. Wenn ich es nicht besser wüsste. Denn so, wie ich die Welt der Swingerclubs erlebt habe, ist genau dort tatsächlich diese Art von unkomplizierter sexueller Begegnung möglich. Dass die Männer dort nicht als oberkörperfreie Saunameister auftreten oder als südländische Kirschpflücker – sei’s drum.
Der Titel führt ein wenig in die Irre – denn Anouk’s Frauen habe ich beim Lesen nicht als Jägerinnen erlebt. Sie sind nicht auf der dringenden Suche nach sexueller Befriedigung. Sie nehmen sie einfach an, wenn sie sich ihnen bietet.
Jägerinnen der Lust macht Lust, sich die beschriebene unkomplizierte und situativ entstehende Sinnlichkeit einfach wie die Kirsche vom Baum zu pflücken. Auch und gerade als Frau unsere Sexualität nicht mehr unter dem Schleier der gesellschaftlichen Moralvorstellungen zu verstecken. Die Kernaussage, die ich aus diesem Buch mitnehme, lautet:
Es ist nichts dabei, mit einem gerade sich anbietenden Unbekannten Sex zu haben – schau einfach, dass es einvernehmlich und geschützt geschieht.
Meine final destination in Form des Orgasmus habe ich beim Lesen des Buchs übrigens mehrfach erreicht. Manche Geschichten spannen sich auch lange nach dem Lesen noch in meinem Kopf weiter. Eine Lieblingsgeschichte zu nennen fällt mir schwer. Ich kann mich nicht entscheiden zwischen der Kirschplantage und dem langhaarigen Saunameister. Einen ganz ähnlichen habe ich nämlich auf meiner letzten Reise allein getroffen. Leider waren wir im Gegensatz zu Anouk’s Jägerin nicht allein in der Sauna. Dank ihr habe ich aber jetzt eine Ahnung davon, wie es hätte ausgehen können!
Dafür bekommt “Jägerinnen der Lust” von Anouk S. von mir ★★★★★ von 5 Sternen!
Zusammenfassung
Positiv | Negativ |
❥ Selbständige, unabhängige Frauenrollen | ❥ Stories vereinzelt zu kurz |
❥ Realistische, ungekünstelte Situationen | ❥ Leider nur 64 Seiten |
❥ Gleichberechtigung, Konsens und Safer Sex | |
❥ Unpeinliche Sprache | |
❥ Fantasien laden zum Erleben ein |
“Jägerinnen der Lust – Erotische Fantasien für moderne Zeiten” von Anouk S.
7 erotische Kurzgeschichten in einem Band. Für Frauen, die ihre Lust frei und unbeschwert leben wollen – wenn auch nur für ein paar Stunden.
Für Leser*innen ab 18 Jahren.
Broschierte Ausgabe 8 €
Ebook 2,99 €
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Das Titelbild dieses Werkes ist unglaublich hässlich! Und es ist außerdem völlig unerotisch. Da hat mal wieder jemand einen Buchtitel gestaltet, der vn Tuten und Blasen keine Ahnung hat. Na ja, vom Blasen vielleicht ja schon, aber von der Gestaltung eines verkaufsfördernden Titelbildes auf keinen Fall. Faltenwerfende Strumpfhosen … über kurzen, stämmigen Beinen. Oh Jesses!