Wie findet man die richtigen Worte für einen Zustand, der völlig neu für meine Generation und die meiner Eltern ist? Wenn schon die Gefühle abstrakt, unbekannt, schwer greifbar sind?

Die Corona-Pandemie mit ihren weitreichenden Folgen für die Gesellschaft wird von der UN als schwerste Krise seit dem Zweiten Weltkrieg bezeichnet. Nie zuvor konnte sich ein unbekannter Virus, für den es weder Schutz durch Impfung noch Medikamente zur Behandlung gibt, so rasant über den Erdball ausbreiten. Ich persönlich stehe deshalb voll hinter den Maßnahmen unserer Regierung, die das gesellschaftliche Leben in den letzten Monaten größtenteils lahmlegten. Führende Virologen aus der ganzen Welt geben dem deutschen Krisenmanagement immerhin Bestnoten, und wer weiß schon, was richtig ist in einer Pandemie, wenn nicht die, die täglich an ihren Ursprüngen und Folgen forschen?

Ein zaghaftes Gefühl von Alltag – aber etwas hat sich verändert

Seit 22. März galten bundesweit Kontaktbeschränkungen. Bye-bye Familie, Freunde, Kollegen. Mittlerweile sind persönliche Treffen in begrenztem Umfang wieder möglich. Doch ich weiß nicht wie es dir geht, aber für mich kehrt nur sehr langsam ein zaghaftes Gefühl von Alltag zurück.

Etwas hat sich verändert. Zwar tut es überraschend gut, mich einfach mal wieder in ein Café setzen zu können, einen Plausch mit der Bedienung zu halten und beim Blick auf die wieder belebten Plätze ein Gefühl dafür zu bekommen, wie dieser Frühling hätte sein können. An das Tragen der Gesichtsmaske habe ich mich äußerlich auch gewöhnt. Aber sie verändert etwas im Umgang der Menschen miteinander.

Als ich mich mit einer Freundin darüber unterhielt, stellten wir fest, dass wir neuerdings beide eine unerklärliche Scheu davor haben, fremden Menschen ins Gesicht zu sehen. Vielleicht, weil die Vermeidung von Blickkontakt auch ein Ausdruck des Abstandhaltens ist. Aber wir haben auch festgestellt, dass wir beide beim Blick in maskierte Gesichter Gefühle von Verunsicherung und Angst haben. Die halbe (oder mehr?) Mimik fällt halt mal eben weg, das macht es schwerer, den anderen einzuschätzen. Dann lieber gleich wegschauen – seh ich dich nicht, siehst du mich nicht, alte Fluchttier-Regel.

Auch die gewohnte Umarmung zur Begrüßung fühlt sich jetzt falsch an, denn gilt es nicht immer noch, den Mindestabstand von 1,5 Metern zu wahren, um ein erneutes Ausbreiten der Infektion zu verhindern? Wie geht man mit Freunden und Familie um, die das lockerer sehen? Oder ist man einfach übervorsichtig und zu empfindlich?

Niemand weiß mit abschließender Sicherheit, was richtig ist, und das ist wohl das vorherrschende Merkmal dieser Krise.

Dass in schweren Zeiten allerhand Verschwörungstheorien Zulauf finden, macht die Sache nicht einfacher. Wie soll ich damit umgehen, wenn Freunde oder Familienmitglieder sich plötzlich kruden Theorien anschließen? Da heißt es dann, Bill Gates wollte anhand einer Impfpflicht alle Menschen mit einem Mikrochip ausstatten, um dann unsere Gedanken zu steuern; Covid-19 sei eine Säuberung der Gesellschaft und nur die reinen Herzens sind werden überleben; die Grundrechte würden abgeschafft und eine Diktatur in Deutschland errichtet (paradoxerweise am lautesten propagiert von jenen schwarzen Gesellen, die selbst am eifrigsten an der Abschaffung der Demokratie arbeiten)… Also echt: das alles ist auch nichts anderes als der Vorwurf zu Pest-Zeiten, die Juden hätten die Brunnen vergiftet. Ich könnte kotzen über so viel Hass, Rassismus und Antisemitismus.

Rückzug als persönliche Bewältigungsstrategie

Meine coping-stategy war deshalb der Rückzug. Nicht nur der staatlich verordnete Rückzug aus den Swingerclubs, die seit März geschlossen sind und immer noch nicht wissen, wann und unter welchen Umständen sie wieder öffnen können. Auch der Rückzug aus den sozialen Medien, die mir in den letzten Wochen einfach oft zu laut wurden (nur die Stimmen um #blacklifesmatter können nicht laut genug sein – die Proteste und weltweiten Demonstrationen gegen Rassismus sind überfällig und notwendig).

Zu sagen gäbe es in diesem Blog genug! Zum Beispiel über Rassismus in der Swinger-Szene. Und zwar nicht über die überflüssige Frage, ob es ihn gibt – sondern darüber, wie wir ihm begegnen können und das Zusammensein so verändern können, dass People of Color sich genauso unbefangen im Swingerclub bewegen und ausleben können, wie Weiße. Darüber, was es mit der Beziehung macht, wenn der sexuelle Kontakt mit anderen Menschen außerhalb der Zweierbeziehung plötzlich nicht mehr möglich ist. Darüber, wie polyamore Liebesbeziehungen social distancing überleben. Oder wie es den Swingerclub-Betreibern geht, die teilweise schon jetzt Umsatzausfälle im sechsstelligen Bereich haben.

Niemand weiß, ob die Swingerclub-Landschaft dieselbe sein wird, wenn Treffen größerer Gruppen irgendwann wieder erlaubt sein werden. Ein Blick auf die verwandte Gastro-Szene nimmt mir die Hoffnung – die ersten Restaurants haben unter der Last der drastischen Umsatzeinbußen schon aufgegeben. Es ist zu erwarten, dass auch unter den Swingerclubs nicht alle wieder ihre Türen öffnen werden.

Und doch ist diese Zeit für mich persönlich eine Belastung, über die ich nicht weglächeln kann. Würde unter der Maske ja eh niemand sehen. Ist es Schwarzmalerei, wenn ich prophezeie, dass sich unsere Gesellschaft auch über die Zeit der gesetzlichen Einschränkungen hinaus verändern wird? Wie unbefangen werden wir uns noch zur Begrüßung in den Arm nehmen können, ein Glas teilen oder jemand Fremdes küssen? Werden Swinger und andere sexuell offene Menschen in Zukunft noch misstrauischer beäugt? Das hängt maßgeblich davon ab, wie das weitere Ansteckungsgeschehen verläuft – Schlagzeilen über massenhafte Covid-19-Infektionsausbrüche nach Swingerorgien wären jetzt nicht so hilfreich. Ich glaube, dass social distancing ein diffuses Gefühl der Vorsicht hinterlässt, das uns alle noch sehr lange begleiten wird.

Das Leben unter einer Pandemie ist etwas, in dem wir keine Übung haben. Und das ist okay.

Das Leben unter einer Pandemie ist etwas, in dem wir keine Übung haben. Und es ist okay, wenn einige von uns jetzt mehr Zeit zum Klarkommen brauchen, als andere. Vielleicht gehörst du auch dazu. Es ist okay, wenn es zur Zeit einen Tag gut läuft, und sich am nächsten alles wie ein Albtraum anfühlt. Mach dir keinen Vorwurf, wenn du zur Zeit nur das Gefühl hast, Alltag zu spielen, als ihn wirklich zu leben. Das alles wird vorbeigehen, auch wenn das vielleicht noch ein Weilchen dauern wird. Aber dann, dann umarmen wir uns zur Begrüßung und teilen ein Glas Wein. Und scheißen auf Corona, den verf*ckten Spielverderber, der uns den Frühling 2020 gestohlen hat.

Bleib gesund, pass auf dich und andere auf! Wir sehen uns wieder!

Titelbild: Daniel Tafjord via Unsplash