Dass eine offene Beziehung Regeln braucht, habe ich anfangs nicht glauben wollen. Wir waren so voller Neugier und Optimismus, öffneten die Beziehung einvernehmlich. Was sollte schon schiefgehen?

Einige Jahre später zeigt die Erfahrung, dass eine offene Beziehung durchaus ein paar Regeln verträgt. Wir mussten das (teilweise schmerzlich) im Alltag lernen. Damit dir das nicht passiert, teile ich meine wichtigsten Erfahrungen in diesem Blogartikel mit dir.

Das Thema offene Beziehung beschäftigt dich anscheinend, sonst wärst du nicht hier. Vielleicht hast du dich sogar schon mit deinem*r Partner*in über eine offene Beziehung unterhalten. Aber wie sieht der Alltag einer offenen Beziehung aus? Was ist erlaubt ist, und was nicht? Der Wunsch nach einem klaren Regelwerk ist verständlich. Aber niemand kann ihn dir erfüllen! Denn:

Egal was dir andere weismachen wollen: es gibt nicht DIE Regeln für offene Beziehung

Der Grund ist einfach: Bedürfnisse und Lebensumstände sind so unterschiedlich, wie die Menschen, die diese Beziehungen führen. Jeder Mensch hat ein anderes Bedürfnis nach Sicherheit, Information, Kontrolle oder Freiheit.

Reißerische Ratgeber wie “Mit diesen 103 Regeln funktioniert Deine offene Beziehung garantiert und ihr lebt glücklich bis ans Ende eurer Tage” können also gar nichts bringen.

Im Gegenteil: jede Art von Beziehung, ob monogam oder offen, hat ihre eigenen, frei verhandelbaren Regeln. Und diese Regeln könnt ihr zu jedem Zeitpunkt neu verhandeln. Sie sind also nicht starr, sondern so flexibel, wie ihr bereit seid, aufeinander zuzugehen.

Hinzu kommt: Geänderte Umstände wie Krankheiten, Schwangerschaft oder eine Fernbeziehung können ein Nachjustieren erforderlich machen. Regelmäßig hinsehen, ob man noch gemeinsam in die gleiche Richtung geht, lohnt sich aber auch unabhängig von solchen Krisen.

Regeln für die offene Beziehung Lotta Frei
Foto von Redd Angelo via unsplash.com

Strenge Beziehungs-Regeln: Sicherheit oder Vermeidungsstrategie?

Gerade Paare, die auf den allerersten Metern der offenen Beziehung unterwegs sind, wünschen sich meist glasklare Aussagen und Regeln für das weitere Vorgehen. Wer darf was, wann und wo, mit wem und wie oft?

Viele Paare, mit denen ich mich unterhalten habe, berichten: diese Regeln haben sie nach und nach aufgeweicht und irgendwann ganz vergessen. Weil es sich anfühlte, als hätte ein Mensch ohne Führerschein die Verkehrsregeln aufgestellt. Und weil ein Gespür für die Stimmung des anderen sowie ein klarer Austausch über ihre Bedürfnisse jede Regel obsolet gemacht hat.

Hinter sehr strengen Regeln für die offene Beziehung kann sogar eine klammheimliche Vermeidungsstrategie stecken.

Bullshit-Regeln, hinter denen eigentlich ein Vermeidungsverhalten steckt

Beispiele für solche Bullshit-Regeln sind z.B.:

  • Sie darf nur Dates am Donnerstag haben, wenn ich im Blockflötenkurs bin, damit ich nie allein daheim sein muss.
  • Wir haben nur gleichzeitig Dates, damit keiner sich benachteiligt fühlt.
  • Niemand darf jemals die ganze Nacht mit einer anderen Person verbringen.
  • Wir haben nur Sex ohne Gefühle. Verlieben ist verboten.

Vielleicht denkst du jetzt “What the fuck, Verlieben soll erlaubt sein?”

Nein. Aber Gefühle lassen sich nun mal nicht beherrschen. Sie stehen immer im Raum, denn sie sind menschlich. Je mehr ihr versucht, sie zu vermeiden, desto verlockender werden sie.

Solche starren Regeln für eine offene Beziehung gaukeln lediglich die Illusion von Sicherheit vor. In Wirklichkeit rauben sie euch aber die Möglichkeit der Entwicklung. Wie soll man seine Ängste überwinden, wenn man sich ihnen nicht stellt?

Wie locker oder streng auch immer: Die Vereinbarungen, Maßstäbe oder Richtlinien anderer Paare können eine Anregung sein für die eigenen ersten Gedanken und Schritte. Fünf bestimmte Dinge haben sich in unserer offenen Beziehung als elementar herausgestellt.

5 Tipps aus dem Alltag unserer offenen Beziehung, die hilfreicher sind als alle Regeln

1. Ehrlichkeit

Wann bin ich wo mit wem? Dazu gehört auch, rechtzeitig Bescheid zu geben, wenn man ein Date hat. Damit zeige ich meinem Partner: Ich nehme deine Pläne und deine Zeit ernst. Außerdem erzählen wir uns, mit wem wir Sex haben – und mit wem einfach nur einen netten Abend in der Kneipe. Das alles trägt dazu bei, die Dates des Partners weniger bedrohlich zu empfinden.

Was fühle ich für diese Person? Eine Affäre meines Partners endete unglücklich. Weil ich wusste, wie gern er sie hatte, konnte ich seine Niedergeschlagenheit und Schweigsamkeit besser verstehen. Er hatte einen Menschen verloren, der ihm als Freundin wichtig geworden war. Und diese Ehrlichkeit bietet eine wunderbare Möglichkeit, sich als Paar nah zu sein: indem man sich Trost gibt und sich gegenseitig wieder aufbaut.

Wenn man seine Gefühle verheimlicht, kann es im anderen den Eindruck erwecken, die Kontrolle zu verlieren. Das macht Angst. Hast du etwas auf dem Herzen oder planst etwas im Geheimen, sollten ohnehin alle Alarmglocken schrillen. Setz Dich lieber gleich damit auseinander, warum Du diese eine Sache verheimlichen willst. Vielleicht weißt du, dass dein*e Partner*in eigentlich dagegen wäre. Es kommt aber auch vor, dass Deine Bedenken unbegründet sind, und der Partner gar kein Problem mit Deinen Plänen oder Gedanken hat. Andersherum kann es vorkommen, dass etwas ein Problem für den Partner darstellt, wo du es gar nicht vermutet hättest. Deshalb: reden, reden, reden – lieber einmal zu viel, als einmal zu wenig.

2. Gemeinsames feiern und erhalten

Wir haben als urbane Menschen ein Lieblingscafé, eine Lieblingsbar… Andere Paare haben vielleicht versteckte Geheimplätze in der Natur, die mit einem schönen gemeinsamen Moment verbunden sind. Man teilt seit Jahren eine Sportart zusammen, oder verbringt, komme was wolle, jeden Montag Abend mit zwei Folgen der Lieblingsserie und einer großen Tüte Chips auf dem Sofa.

Mein Freund reagierte verletzt, als ich ein Date in einer unserer Lieblingsbars hatte. Ich selbst dachte mir gar nichts dabei und war überrascht, wie sehr es ihn getroffen hat. Wir wären vor der offenen Beziehung nie auf die Idee gekommen, diese Regel aufzustellen! Aber es erwies sich als wichtig, eine geschützte gemeinsame Zone zu erhalten, in die kein anderer Zutritt hatte.

Solche Rituale mögen auf den ersten Blick banal erscheinen. Aber sie geben der Beziehung Stabilität und pflegen die Verbundenheit. Sie definieren die Beziehung mit, und sollten deshalb grundsätzlich dem Partner vorbehalten bleiben. Natürlich spricht nichts dagegen, das alles auch mit einer dritten Person zu teilen – aber es ist fair, den Partner vorher um Zustimmung zu bitten.

3. Werdet zum Experten für Schutz und Verhütung

In einer Beziehung hat man sich normalerweise auf eine Verhütungsmethode geeinigt. Jetzt kommen plötzlich neue Menschen ins Spiel. Nehmt den Schutz vor sexuell übertragbaren Erkrankungen und die Verhütung unbedingt ernst! Dazu gehört:

  • Informiert euch über die potentiellen Risiken von Sexpratiken.
  • Informiert euch über sexuell übertragbare Krankheiten und Ansteckungsformen (oral, vaginal, anal…).
  • Verzichtet eventuell auf bestimmte sexuelle Praktiken außerhalb der Beziehung, falls sie euch zu risikoreich erscheinen.
  • Überlegt euch, ob Oralverkehr mit Lecktüchern (alternativ Frischhaltefolie) für euch in Frage kommt. Trockene Kondome ohne Gleitmittel machen den geschützten Blowjob angenehmer. Ungeschützter Oralverkehr birgt ein Ansteckungsrisiko für sämtliche sexuell übertragbaren Krankheiten!
  • Kondome können (vor allem bei Anwendungsfehlern) reißen. Spart nicht daran und verwendet ggf. die super reißfesten Kondome von Lelo Hex. Und falls doch mal was in die Hose geht? Mit der rezeptfreien “Pille danach” kein Drama. Aber das sollte wirklich nur eine Option im Notfall sein.
  • Lasst euch regelmäßig auf sexuell übertragbare Krankheiten testen. Es geht nicht nur um eure eigene Gesundheit – ihr habt auch jedem eurer Partner gegenüber eine Verantwortung. In München bietet z.B. das Referat für Gesundheit und Umwelt kostenfreie und anonyme Tests auf die wichtigsten Geschlechtskrankheiten an und berät auch über Übertragungswege und Schutzmöglichkeiten. Ähnliche Stellen gibt es in jeder größeren Stadt.
  • Redet über eure jeweiligen Grenzen und einigt euch auf ein Mindestmaß an Schutz. Haltet euch daran!

4. Respektiert euch

“Wenn man Sex mit anderen will, muss doch in der Beziehung was schieflaufen, oder nicht?”

randome Meinung Unbeteiligter

Hinter dieser verbreiteten Meinung steckt die Erwartung, dass mein*e Partner*in mir alle Bedürfnisse erfüllen muss. Und er*sie gefälligst keine Bedürfnisse zu haben hat, die ich nicht erfüllen kann. Klingt ganz schön verkrampft, oder? 

Wie wäre es stattdessen mit einer entspannteren Sicht: jeder von uns ist ein eigenständiges Wesen. Es ist wunderschön, einen Teil des Lebenswegs gemeinsam zu gehen. Aber indem ich meinem Partner Freiheiten lasse, gestehe ich ihm auch zu, ganz eigene Erfahrungen zu machen, daraus zu lernen und zu wachsen. Das fühlt sich am Anfang komisch an, weil wir in der Regel anders konditioniert sind. Aber es lohnt sich, schwere Gefühle auch mal auszuhalten und festzustellen, wie sie sich nach und nach ändern. Aus Respekt vor dem anderen.

5. Don’t fuck the pack

Finger weg von gemeinsamen Freunden und Kollegen… Das bringt nur Ärger! Und falls der Schnecki von Kumpel dir gar nicht aus dem Kopf gehen will: frag deine*n Partner*in vorher, wie er*sie es finden würde. Vielleicht zuckt er*sie ja nur mit den Schultern?

Weiterführende Links und Buchtipps zum Thema Regeln in der offenen Beziehung

Folgende Seiten und Bücher haben mir enorm geholfen auf dem Weg in die offene Beziehung. Vielleicht ist auch für dich etwas hilfreiches dabei?

Über ‘Grundrechte in Beziehungen’:
(The Relationship Bill of Rights)
http://beziehungsgarten.net/blog/tag/regeln (deutsch) bzw.
https://www.morethantwo.com/relationshipbillofrights.html (englisch)

Buchtipp:
Schlampen mit Moral – Eine praktische Anleitung für Polyamorie, offene Beziehungen und andere Abenteuer

Außerdem geholfen haben mir:
https://www.anders-lieben.de/offene-beziehung/
http://beziehungsgarten.net/blog/10-realistische-regeln-fuer-gute-offene-beziehungen